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Seit dem 17. Jahrhundert belieferten europäische Fernhändler die Märkte Europas mit in leuchtenden Farben bemalten und bedruckten Baumwollstoffen aus Indien, die unter den Bezeichnungen 'Indiennes', 'Chintz' oder 'Zitz' Furore machten. Die zumeist exotisch gemusterten Stoffe bestachen nicht allein durch ihre Schönheit, sondern auch durch eine in Europa bis dahin unerreichte Farb- und Lichtechtheit. In kurzer Zeit erwuchs den einheimischen Geweben aus den importierten Kattunen, die in nahezu allen Preisklassen auf die Märkte kamen und dadurch breiten Schichten zugänglich waren, eine enorme Konkurrenz. Die traditionellen Textilien und Dessins Europas mussten sich an der neuen Mode messen lassen.
Auch in der Reichsstadt Augsburg sahen sich die Textilgewerbe und die Kaufleuteschaft durch die Konkurrenz indischer und zunehmend auch französischer, holländischer und englischer 'Indiennes' erheblich unter Druck gesetzt. Einen Ausweg sah man allein in der Übernahme der Färbetechniken nach 'ostindischer Manier'. Vergleichsweise früh, nämlich seit Ende der 1680er Jahre, etablierten sich in Augsburg erste Kattundruckereien. Das hohe Niveau, zu dem die Kattundrucker hier im Laufe der folgenden Jahrzehnte gelangten, sicherte der Stadt den Ruf eines Textilstandortes ersten Ranges.
Eine wegweisende Rolle spielte hierbei der aus Genf zugewanderte Jean François Gignoux, der 1719 das Augsburger Bürgerrecht erheiratete und gegen den heftigen Widerstand der bereits etablierten Kattundrucker eine Druckergerechtigkeit erhielt. War es bereits bei der Einführung des Kattundrucks zu erheblichen Konflikten zwischen den Druckern und der Färberzunft um die jeweiligen Befugnisse gekommen, verschärften sich diese durch Gignoux' Bestreben, einen Färbermeister in seinem Betrieb anzustellen. Erst nach jahrelangen Auseinandersetzungen konnte er sich schließlich durchsetzen und damit den Übergang zur manufakturellen Produktionsweise im Kattundruck vollziehen, wodurch er den äußerst langwierigen Produktionsprozess deutlich straffen konnte. Gignoux' technische Begabung und seine Kreativität schlugen sich in wichtigen Innovationen nieder und positionierten das Unternehmen entsprechend.
Jean François Gignoux' Söhne Anton Christoph und Johann Friedrich erlernten das väterliche Gewerbe, wobei sich Anton Christoph in späteren Jahren zunehmend als Kupferstecher und Maler betätigte und schließlich zeitweise in Wien lebte. Johann Friedrich heiratete 1748 Anna Barbara Koppmayrin, die Tochter eines Augsburger Goldschlagermeisters, und reüssierte schnell als Kattundrucker. Wie sein Vater stand er im Ruf eines begabten Druckers und arbeitete eng mit verschiedenen Kauf- und Handelsleuten zusammen. Die massiven Konkurrenzkonflikte, die sich seine Auftraggeber lieferten und in die Gignoux unweigerlich hineingeriet, gewähren tiefe Einblicke in die teilweise rigiden Geschäftspraktiken, die offenkundig dem enormen wirtschaftlichen Potential geschuldet waren, das dem Kattundruck auf den Märkten weltweit zugeschrieben wurde.
Johann Friedrich und Anna Barbara Gignoux erwiesen sich als ein frühneuzeitliches 'Arbeitspaar' par excellence: Johann Friedrich Gignoux bezog seine Frau so intensiv in die Arbeitsprozesse mit ein, dass sie sich sowohl im kaufmännischen wie auch im technischen Bereich ein umfassendes Erfahrungswissen aneignen konnte. Nur so war sie nach ihrer frühen Verwitwung im Mai 1760 in der Lage, die Manufaktur eigenverantwortlich weiterzuführen, wie dies ihr verstorbener Mann testamentarisch verfügt hatte. Nur zwei ihrer acht Kinder überlebten den Vater: die achtjährige Felicitas Barbara und der fünfjährige Johann Friedrich. Nach dem väterlichen Willen sollte der Sohn bei seiner Volljährigkeit den Betrieb übernehmen. Es kam anders.
Anna Barbara Gignoux verheiratete sich erneut, und diese Verbindung geriet zum absoluten Fiasko. Vor Augen tritt hier jedoch weit mehr als eine unglückliche Ehe, war deren Zustandekommen doch unverkennbar der zu diesem Zeitpunkt gerade noch einmal enorm anschwellenden ökonomischen Bedeutung des Kattundrucks geschuldet. Georg Christoph Gleich, der Bräutigam, sowie seine Geschäftspartner versprachen sich von dieser Heirat einen uneingeschränkten Zugriff auf die Gignoux'sche 'Kattunfabrique', wie die Manufakturen nun genannt wurden. Gleich, von Beruf Kaufmann, drängte seine Frau unmittelbar nach der Hochzeit aus der Leitung ihres Betriebes. Obwohl die Rechtslage Anna Barbara begünstigte, fand Gleich mit Hilfe des einflussreichen Netzwerkes seiner Partner die Unterstützung der Obrigkeit. Seine Frau sah sich schließlich gezwungen, sich auf einen Vergleich einzulassen, der ihm weitgehende Befugnisse einräumte. Knapp zehn Jahre nach diesen schwerwiegenden Konflikten führte Gleich das Unternehmen durch den Bau eines großen Manufakturgebäudes in Augsburg sowie durch auswärtige Parallelfirmen in den Konkurs. Seiner Verantwortung entzog er sich durch Flucht.
Anna Barbara Gleich gelang es, das Unternehmen zu retten. Sie verglich sich mit den Gläubigern, trug die hohe Schuldenlast ab und baute die unter der Bezeichnung 'Johann Friedrich Gignoux sel. Erben' firmierende Fabrik in wenigen Jahren zu einer der größten Kattundruckereien Augsburgs aus. In einem furiosen Akt konnte sie endlich auch die Scheidung durchsetzen. Den Namen Gignoux trug sie da längst wieder.
Waren nach sechs Kindern erster Ehe auch alle Kinder aus der Ehe mit Gleich bereits im Säuglingsalter verstorben, starb 1777 mit Johann Friedrich auch der als Firmenerbe bestimmte Sohn im Alter von nur 22 Jahren. Die Leitung der Manufaktur, in der etwa 500 Mitarbeiter/innen beschäftigt waren, lag somit auf Dauer in Anna Barbaras Händen. Nach der Heirat ihrer Tochter weckte dies ein weiteres Mal männliche Begierden: Nun war es der Schwiegersohn, der versuchte, das Unternehmen an sich zu ziehen. Die sich daraus ergebenden schweren Konflikte waren für Anna Barbara Gignoux ein dramatisches Déjà-vu. Der baldige Tod Kochs bewahrte die Familie vor weiteren Zerreißproben.
In all diesen Kontexten lassen sich vielfältige wirtschafts-, sozial-, kultur- und geschlechtergeschichtliche Einblicke gewinnen. Da das enorme wirtschaftliche Potential des Kattundrucks die 'Fabrikanten' zu ständigen Verbesserungen motivierte, spiegeln die Quellen darüber hinaus eine Vielzahl technischer Entwicklungen und die Diskussionen, die sie auslösten.
Den wirtschaftlichen Erfolg, den die Augsburger Kattundrucker genossen und der sehr viel Geld in die Stadt zog, sahen beileibe nicht alle positiv. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Einfuhr auswärtiger Weberwaren heftig kritisiert und zeitweise auch verboten. Die zunehmende Einfuhr feiner und feinster ostindischer Roh-Kattune führte dann seit den 1760er Jahren zu jahrzehntelangen heftigen Auseinandersetzungen mit einer weitgehend verarmten Augsburger Weberschaft. Der Protest und die Verzweiflung der Weber, deren Tuche aus ihrer Warte kaum mehr Absatz fanden, entluden sich 1784 und 1794 in Unruhen und Aufständen. Da alle auf Konsens ausgerichteten obrigkeitlichen Regulierungsversuche den Forderungen der Weberschaft nicht weit genug gingen, den wirtschaftlichen Interessen der Kattunfabrikanten aber fundamental zuwiderliefen, hatte die reichsstädtische Obrigkeit alle Mühe, die Konflikte in den Griff zu bekommen.
Umfangreiche Quellen verdeutlichen, wie intensiv sich einige Kattundrucker, unter ihnen – teilweise federführend – Anna Barbara Gignoux, um einen Ausgleich mit den Webern bemühten, um die Existenz ihrer Druckereien nicht zu gefährden. Unschwer lässt sich hier eine Globalisierungsproblematik erkennen, die allerdings in Folge der Französischen Revolution und der Koalitionskriege mit ihren Handelshemmnissen zu Lasten der Fabrikanten wirkte und eine Reihe von Konkursen zur Folge hatte. Es waren diese äußeren Faktoren, die schließlich auch den Niedergang des Kattundrucks einleiteten. Wechselnde Moden taten das ihre.
Als Anna Barbara Gignoux 1796 im Alter von 71 Jahren starb, übernahm ihre Tochter Felicitas Barbara Koch das elterliche Erbe. 1797 heiratete sie den Kaufmann Christian Moritz Emmerich, mit dem sie das Unternehmen zunächst weiterführte. In wirtschaftlich wie politisch schwieriger Zeit und erneut verwitwet entschloss sie sich 1805, die Fabrik zu verpachten. Ihr Testament belegt neben anderen Quellen eindrucksvoll den Erfolg des Gignoux'schen Unternehmens. Da Felicitas Barbara keine Kinder hinterließ, erlosch mit ihrem Tod die Augsburger Familie Gignoux.
Die Gignoux spielten von 1719 bis 1805 eine beachtliche Rolle in der Augsburger Wirtschaftsgeschichte. Die Geschichte dieser Familie und ihres Unternehmens spiegelt neben globalen die großen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umbrüche des 18. Jahrhunderts, ja, die Mitglieder dieser Familie waren selbst Akteure dieser Umbrüche. Obwohl – oder besser: gerade weil – weder ihre Erfolgsgeschichten noch ihre Schwierigkeiten, ihre Niederlagen, wie etwa der zwischenzeitliche Konkurs, als singuläre Erscheinungen dieser Epoche und dieses Gewerbes zu sehen sind, bietet sie sich für eine facettenreiche geschlechtergeschichtlich fundierte Unternehmens- und Kulturgeschichte geradezu an. Der Standort dieses Unternehmens, die Freie Reichsstadt Augsburg, die vom 14. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein – ab 1806 freilich nicht mehr als Reichsstadt – eine der bedeutendsten Textilstädte des Reiches bzw. Deutschlands war, verleiht dieser Geschichte einen imposanten Rahmen und eine über sich selbst hinausweisende Relevanz.